Bass und Trompete genügen. Zumindest wenn Dieter Ilg in die Seiten greift und klopft und schabt und Till Brönner die Trompete nicht nur darüber schweben lässt, sondern geradezu in den Bass hineinarbeitet. Seit 20 Jahren kennen sich die beiden, mit Nightfall ist in diesem Jahr ihr erstes gemeinsames Album erschienen.
Manchmal ist mir Mulittalent Till Brönner unheimlich. Er reüssiert als treffsicherer Fotograf und als superber Trompeter, sieht gut aus, ist TV-präsentabel („kommt gut rüber“) – könnte das nicht zu glatt und gefällig werden? Irgendwie Jazz für M5M?
Wobei mir Mainstream-Jazz ja auch oft gefällt. Hinter solchen Vorbehalten schwingt gleich jede Menge Bigotterie mit.
Die Rezensionen sind überwiegend positiv:
Schon der große Miles Davis hat immer wieder betont, dass die nicht gespielten Noten im Jazz mindestens die gleiche Bedeutung haben, wie die tatsächlich gespielten.
Das beherzigen auch Till Brönner und Dieter Ilg auf ihrem gemeinsamen Album „Nightfall“. Wenn man ohne Harmonieinstrument agiert, Trompete und Bass nicht in hyperaktiver Absicht spielt, dann bleiben automatisch Zwischenräume. (Deutschlandfunk)
Mint befindet in Ausgabe 4 / 2018:
Ein Album, dessen jazzige Eleganz bei der Covergestaltung beginnt und in der ideologie-freien Vielfalt von Bach bis Spears, von Cohen bis Vulpius zu akustischer Schönheit findet. Je langsamer die Interpretationen, desto wirkungsvoller ihr Minimalismus. Hier fehlt nichts, man kennt die Melodien – auch wenn man sie bei Bachs Air lange suchen muss – und lässt sie sich von der ungewöhnlichen Konstellation der beiden Instrumente neu erzählen, ohne dass es in klassische Jazz-Soli ausartet.
Leonard Cohens A Thousand Kisses Deep gibt den Türöffner. Trompete, Bass, Punkt. Das Stück liefert sich den beiden aus, scheint wie gemacht für die minimale Besetzung. The Fifth of Beethoven leistet durchaus mehr Widerstand – in dem Sinn, dass sich Brönner erst forsch, dann aber auch suchend dem Motiv nähert, während Ilg das Tempo am Bass anzieht und später unvermittelt als „Solostimme“ spielt. Schließlich wird er langsamer, verstummt beinahe, eher die Trompete wieder einsetzt.
So bietet jeder Song eine kleine, eigene Geschichte. Weitere Anspieltipps: der Beatles-Klassiker Eleanor Rigby, Scream and Shout (Will I.Am).
Ach bleibt mit deiner Gnade von Melchior Vulpius beschließt das Album. Einige Rezensenten haben angemerkt, die Melodie sei kaum zu erkennen. Finde ich nicht. Der ruhig schwebende Bass bereitet der Trompete den Grund, Brönner spielt die Melodie des Gesangsparts einmal durch, ehe er sich dem Stück etwas freier nähert. Ilg treibt den Bass in tiefste Tiefen, es klingt manchmal wie ein Didgeridoo. Die beiden umkreisen die Seele des Stücks, ehe Brönner die Melodie wieder aufnimmt. Das zeugt von Respekt; sie versuchen nicht, das Innere eines zutiefst religiös besetzten Liedes bloßzulegen – sie fügen voller Gefühl ihre Interpretation hinzu.
Ein Album zum Zuhören. Brönner und Ilg machen die Welt auch nach ganz irdischen Kriterien mit Nightfall ein bisschen „besser“.
Link zur Website mit aktuellen Tourdaten.
Link zu Spotify. Ich empfehle die sauber produzierte LP, die allerdings unbedingt eine gefütterte Innenhülle verdient.