
Vor 53 Jahren, 1972, hat zum bisher letzten Mal ein Mensch seinen Fuß auf den Mond gesetzt. Eugene Cernan rechnete damals wahrscheinlich nicht damit, dass er derart lange ohne Nachfolger bleiben würde.
Einige Länder und Organisationen planen seit einiger Zeit neue Mondmissionen. Doch das scheint schwieriger zu sein, als öffentlich erwartet. Alte Verschwörungstheorien, wonach die Mondlandungen „Fake“ gewesen seien, bekommen so neue Nahrung.
Das Mondprogramm war überaus erfolgreich. Es war ein ASAP-Projekt: Präsident Kennedy verkündete 1961, dass noch vor Ablauf des Jahrzehnts ein Amerikaner auf dem Mond landen und zurückkehren sollte. In der Realität bedeutete der avisierte Zeitrahmen und die Konkurrenz zur Sowjetunion in diesem „Rennen zum Mond“, dass die NASA zum frühestmöglichen Zeitpunkt – asap – einen Astronauten zum Mond schicken sollte. Bei der Verlautbarung waren die technischen Herausforderungen ungelöst: Es gab weder eine Trägerrakete, um Mensch und Material ins All zu bringen; es gab keine Landefähre, um auf dem Mond zu landen; und es gab natürlich auch nur vage Vorstellungen, wie die Rückkehr zu bewerkstelligen wäre. Selbst über die Gesamtkonzeption wurde heftig diskutiert.
Das „Rennen zum Mond“ war im Kern ein Programm mit einer einzigen Aufgabe. Natürlich sollten die Astronauten auf dem Mond Forschung betreiben. Sie waren ja nun mal da, wie unsere letzte Kanzlerin vielleicht gesagt hätte. Das eigentliche Ziel aber war es, einen Menschen zum Mond und wieder zurück zu bringen. Und das frühestmöglich. Daraus ergaben sich die wesentlichen Parameter des Unternehmens.
Trotz allem musste die NASA die immensen Kosten immer wieder verteidigen. Die grundlegenden Designentscheidungen wurden jedoch ohne Rücksicht auf Kosten getroffen. Auch die Sicherheit der Astronauten stand nur insofern im Mittelpunkt, als zu viele Fehlschläge die öffentliche Unterstützung hätten schwinden lassen. Der Auftrag war ja nicht, einen Menschen sehr sicher zum Mond zu bringen, sondern sobald es möglich war.
Was unterscheidet das Mondprogramm der sechziger Jahre von – beispielsweise – den Plänen Elon Musks, Menschen zum Mars zu schicken? Musk geht es eben nicht darum, möglichst bald den Mars zu erreichen, sondern dort eine Kolonie zu gründen. Dazu bedarf es vieler Raumflüge über einen langen Zeitraum. Um dieses Vorhaben realistisch und bezahlbar zu machen, mussten zuerst Technologien entwickelt werden, die die Kosten für Fracht ins Weltall drastisch reduzierte. Es geht also nicht um „frühestmöglich“, sondern bezahl- und wiederholbare Missionen zu ermöglichen.
Vom Mond auf die Erde
ASAP-Projekte haben das Potenzial, viele Menschen und riesige Organisationen hinter sich zu vereinen. Die Zahl der für die NASA Tätigen wuchs während des Mondprogramms von 8.000 auf über 400.000, die auf 20.000 Industrieunternehmen und Universitäten verteilt waren. Die leicht verständliche und einheitliche Mission ermöglichte es diesem Monster, das Ziel effektiv zu erreichen. Als dieses Ziel durch den eigenen Erfolg wegfiel, mutierte die NASA mit deutlich weniger Beschäftigten zur bürokratischen Hölle.
Hier auf der Erde werden wir immer wieder mit ASAP-Projekten konfrontiert, meist ohne NASA-Budget. Vor einigen Jahren, ich arbeitete damals noch in einer internationalen Agenturgruppe, bat mich unser wichtigster Kunde Mitte Januar zum Gespräch. Der Auftritt zur Hannover Messe Industrie Anfang April sollte in einem neuen Webdesign erstellt werden. Das ließ meinen Blutdruck noch nicht steigen. Erst, als er mir weiter verkündete, dass das Design noch nicht final vorliege – „da arbeiten wir noch dran“ – und dass wir die Messeseiten auf einem für uns neuen, zur allgemeinen Einführung vorgesehenen CMS, dem Adobe Experience Manager (AEM), programmieren sollten, raubte es mir die Sprache.
Der Kunde bot uns an, dass eine weitere Agentur uns bei der Programmierung unterstützen könnte. Das wäre dann der vierte Partner neben Kunde, Designagentur und uns gewesen. Nicht nur aus ökonomischen Gründen lehnte ich das ab: Das Projektmanagement-Chaos wäre aus meiner Sicht bei dem engen Zeitplan nicht beherrschbar gewesen.
Nach Rücksprache mit unserem Technikteam erklärte ich dem Kunden, dass wir das Projekt fristgerecht und in AEM abliefern könnten. Ich zeigte auf, wann wir welche Designmodule bräuchten. Und dann kam der entscheidende Punkt: Wir würden eine Quick & Dirty-Lösung liefern, die für die Messe funktionieren würde und mit der wir AEM in einer konkreten Anwendung testen könnten. Für die globale Webpräsenz würden wir aber erst danach anfangen, Code zu schreiben. Wir würden dabei nicht auf die für die Messe realisierten Module zurückgreifen, sondern mit durchdachtem Konzept, sauberer Planung und vollständiger Anforderungsliste neu anfangen. Der Kunde stimmte zu.
Bis zum fristgerechten Launch war es ein ASAP-Projekt. Für eine technologische Premiere lief es im Grunde ziemlich gut. Die Messeseiten gingen rechtzeitig in den Test und dann live. Dieser Erfolg wurde uns zum Verhängnis. Immer mehr Abteilungen beim Kunden wollten „sofort“ das neue Design nutzen. Von einem geplanten Migrationsprozess und einer sauberen, technischen Basis war nicht mehr die Rede. Ich wurde vom „Ermöglicher“ zum „Bremser“ und Warner. Die Quick & Dirty-Lösung wurde zur Basis einer weltweiten Unternehmenswebsite mit wachsenden Anforderungen. Das konnte auf Dauer nicht gut gehen. Ging es auch nicht.
Mehr Chancen als Risiken
„As soon as possible“ ist als Kundenanforderung an sich unproblematisch. Solange die verfolgten Ziele (am besten nur eins) überschaubar und allen Beteiligten bekannt sind. „Frühestmöglich“ bedeutet in der Regel, Kompromisse einzugehen. Das Pareto-Prinzip ist eine bekannte Veranschaulichung: 80 Prozent der Funktionen werden mit 20 Prozent Aufwand realisiert, dann fließen 80 Prozent Aufwand in die restlichen 20 Prozent der Funktionen. Auch das Minimum Viable Product (MVP)-Paradigma folgt einem ähnlichen Gedankengang. Was braucht man wirklich, um ein Produkt auf den Markt zu bringen? Was macht den Unterschied? Können wir dieses Produkt nicht zuerst und schnell testen, ehe wir alles zu Ende entwickeln?
Ich breche hier keine Lanze für oder gegen ASAP-Projekte. Ich plädiere für Realismus. ASAP-Projekte bieten deutliche Vorteile, die sowohl im technischen Bereich als auch im organisatorischen Umfeld sichtbar werden. Sie fördern eine klare Zielorientierung, da der Fokus auf einem einzigen, prioritären Ziel liegt. Dies vereinfacht Entscheidungsprozesse, reduziert langwierige Abstimmungen und fördert eine zielgerichtete Zusammenarbeit. Die Dringlichkeit motiviert Teams, kreative Lösungen zu finden und Innovationen schneller voranzutreiben.
Darüber hinaus stärken ASAP-Projekte den Teamgeist. Das gemeinsame Arbeiten unter hohem Druck schweißt Beteiligte zusammen und schafft ein starkes Wir-Gefühl. Erfolgreich abgeschlossene ASAP-Projekte hinterlassen ein Gefühl von Stolz und Leistungsfähigkeit, das langfristig in der Organisation nachwirken kann. Schließlich bieten sie die Möglichkeit, Prozesse zu hinterfragen, ineffiziente Strukturen aufzubrechen und den Fokus auf das Wesentliche zu lenken – eine wertvolle Lektion, die auch über das Projekt hinaus Bestand haben kann.