Sons of Kemet: Eure Königin ist eine Echse

Sie wurden als Jazz-Revoluzer bezeichnet. Wenn schon Revolution, dann aber richtig. Und so versammelt Bandleader und Saxofonist Shabaka Hutchings immer wieder neue Mitstreiter in seiner Kombo Sons of Kemet, die ihn mit Tuba, Drums und Sprechgesang unterstützen. Daraus entstehen perkussive, hypnotische, aber niemals eintönige Soundteppiche, die immer wieder überraschen.

Das 2018er Werk heißt Your Queen Is A Reptile. Mit der Königin ist nicht Hillary Clinton, sondern die britische Königin gemeint. Damit bezieht sich die Band auch auf eine Conspiracy Theory. Die meisten Rezensenten konzentrieren sich auf Hutchings eigentliche Botschaft:

Es ist ein Manifest, das sich gegen die für ihn überholte Funktion der englischen Königin richtet, die – wie man den Liner Notes entnehmen kann – „nicht unsere Königin ist“, denn„sie sieht uns nicht als Menschen“. Als Alternative ist in jedem seiner neun Titel eine für ihn würdige Königin erwähnt. Unter „My Queen is …“ erscheinen beispielsweise die Namen der Bürgerrechtsikone Angela Davis, der Organisatorin der Sklavenbefreiungs-Organisation „Underground Railroad“ Harriet Tubman oder der Ashanti-Königsmutter Yaa Asantewaa. (Image Hifi, 3/2018)

Wer bei diesen Rhythmen nicht aufspringt und sich in Trance tanzt, dem ist nicht zu helfen, befindet Stereo in Ausgabe 5/2018, und fügt hinzu:

Brass Bands, Dub-Grooves, Soca – an keiner Stelle ist Spannungsabfall spürbar. Über allem röhrt Shabaka güldenes Horn, faucht und predigt.

Unschwer zu erkennen: Es handelt sich um ein Album mit einem politischen Anliegen. Seit mindestens zwei Jahren gibt The Donald dabei ein leichtes und darum wohl auch beliebtes Ziel ab; Formulierungen, kritische Künstler seinen „mutig“ sind natürlich Quatsch: Mutig wären sie, wenn sie sich Pro-Trump positionierten. (Mut und Klugheit haben erstmal nichts miteinander zu tun.) Oft verkommt die Kritik dabei zu purem Virtue Signalling. Also: Hashtag raus, auf Social Media ein bisschen auf Donald oder die AfD eindreschen, dann ab zum Italiener und fein essen, später mit ruhigem Gewissen einschlafen.

Kann manfrau so machen. Spricht auch nicht für oder gegen die Musik. Hutchings aber will mehr, als im Mainstream-„Protest“ mitzuschwimmen. Er verfolgt ein Anliegen und springt dabei nicht zu kurz.

Stereoplay schreibt in Ausgabe 5/2018: „Eure Königin meint, etwas Besseres als wir zu sein“, heißt es in den Liner Notes, „aufgrund ihres Blutes, aufgrund ihrer Abstammung, aufgrund der Gnade der Eroberung, gerechtfertigt durch Tyrannei, durch das Selbstbewusstsein der Tradition. Eure Königin ist nicht unsere Königin. Sie sieht uns nicht als Menschen“.

Die Abkehr von der „Reptilienkönigin“ ist mit den Albumtitel und der kurzen Notiz beendet. Denn musikalisch steht jedes der neun Stücke für eine Frau, die die Sons of Kemet als Identifikationsfigur respektieren. My Queen Is …, gefolgt vom jeweiligen Namen; so heißen alle Songs. Und dieses repetitive Element hinterlässt Spuren. Eine eigene Wikipediaseite widmet sich der Verlinkung zu den nicht durchgängig bekannten Frauen aus den Titeln. Es lohnt sich, den oft unbekannten oder in Vergessenheit geratenen Geschichten nachzugehen.

Und so ist Your Queen Is A Reptile auch eine musikalische Entdeckungsreise. Mal leise, forschend, einem kurzen Motiv folgend, wie bei My Queen Is Anna Julia Cooper, mal wild, angriffslustig, wie bei  … Harriet Tubman. Das erste Durchhören des Albums war für mich anstrengend. Ich habe gespürt, dass es sich lohnt. Vielleicht musste ich mich erst einhören. Gebt dem Album drei Chancen. Ihr erlebt eines der Jazzalben des Jahres 2018.

Link zur Website.

Link zu Spotify. Ich empfehle die gut und fehlerfrei produzierte LP.

 

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