Piksen gegen die Filterblase

Trendig: Virtue signalling und Abschotten der eigenen Weltsicht vor Fremdeinflüssen. Ein Gegenversuch.

Der Wagen ist geparkt, 50 Meter vor dem griechischem Restaurant. Ein klarer Herbstabend, kurz vor halb acht. Mein Bekannter nähert sich dem Eingang aus der anderen Richtung.

Wir betreten das Lokal, füllen den uns angebotenen Vierertisch sofot aus; die Äußerlichkeiten schnell aufgezählt: Wein (rot), Wasser (mit), zweimal Oktopus, einen Gyros und einen gemischten Teller.

Wie sind wir auf Politik gekommen? Egal. Auf geht’s zu Besuch in eine andere Filterblase.

Und dabei gewinne ich neue Bilder. Das stärkste an diesem Abend:
Du denkst, du paddelst auf einem See. Dabei ist es ein Fluß.

Mein Bekannter zieht den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik heran. Entropie sei unausweichlich. Es geht um das Zusammenleben von Menschen, die Entwicklung von Gesellschaften.

Meine üblichen Gedanken: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung sind weiterhin erstrebenswerte Grundlagen einer Gemeinschaft. Sie wurden bisher nur in Form von Staaten erfolgreich verwirklicht. Die EU muss erst noch beweisen, dass sie diese Prinzipien verwirklichen kann. Die in westlichen Gesellschaften erreichten Errungenschaften wie Toleranz, Gleichberechtigung, Religionsfreiheit und vor allem Freiheit von Religionen sind verteidigungswert.

Es geht meinem Bekannten um Offenheit und Vielfalt. Er flaniere in Weltstädten gern von einem ethnisch geprägtem Viertel zum Nächsten. Er erwartet eine ähnliche Entwicklung in Deutschland.

Wie das mit seinen Entropiegedanken zusammenpasse?

Die Nazis im Leipziger Norden lebten in tristen Häuserschluchten und verteidigen diese auch noch gegen jede Öffnung. Also gegen jede Bereicherung ihres grauen Lebens. Die wollen die Tristesse!

Sind denn die ethnisch separierten Viertel nicht das gleiche wie die tristen Naziviertel? Die Errungenschaft dann nur die, von einem zum anderen spazieren zu können. Also die Freiheit des Flaneurs, nicht die Freiheit der Nazis?

Keine Tristesse, sondern Gewitter über Leipzig.

Er ist natürlich zu intelligent, um meinen weiteren Gedanken auszusprechen: Das sind dann auch Naziviertel, nur bunter.
Darum ja der Fluss, Entropie.

Und überhaupt, alles nazi (kleingeschrieben).

Unsere unterschiedlichen Erfahrungen: Er, der schon mal von Neonazis bedroht wurde. Ich mit meinen Erlebnissen mit muslimischen Mitbürgern. Die ich nicht einbringe. Weil dann, so meine Befürchtung, der freie Diskurs zu einer Therapiesitzung würde.

Dann noch ein kurzer Ausflug zur „Verantwortung Europas“, historische Schuld, die nun beglichen würde. Mein Einwand, diese Weltsicht beruhe auf der Prämisse, dass wirtschaftlicher Erfolg stets zu Lasten eines anderen gehe und dies falsch sei, da Wirtschaft kein Nullsummenspiel ist; Beispiel Zusammenarbeit und Wertschöpfung; Argument ist a total loss. Notiz an mich selbst: Elevatorpitch Marktwirtschaft googeln.

Für mich bleibt da aber dieses Bild. Du glaubst, du paddelst auf einem See. Und dabei ist das ein Fluss.

Es fühlt sich gut an, nicht dagegen anzukämpfen.

Noch die übliche Dosis The Donald. Mein Bekannter ist kein Clintonista. Also lasse ich meine Drone Again-Arie weg. Landtagswahl in Bayern, abgehakt. Maaßen. Hetzjagden auf Video oder nicht?

Ich denke: Konservative hätten früher darauf hingewiesen, dass eine Hetzjagd ein definierter Begriff ist, Jägerlatein. Sie haben formal argumentiert, rational. Alles richtig und Menschen verloren. Der populäre Diskurs wird von der Linken seit je bildhaft geführt. Vereinfachung, Emotionalisierung, Zuspitzung. Damit auch, formal, immer ein bisschen Lüge. Es gibt „Trump Lies Counting“ Websites.

So sind wir überhaupt auf Politik gekommen. Ausgehend von der These, Boston Analytics habe für Trump die Wahl gewonnen.

Wir bekommen jeder noch ein Glas Wein, einen Ouzo und ein Desert (bestellt waren: zwei Ouzo.) Wir protestieren nicht.

Dann geht die Musik aus, wir sind die letzten Gäste. Vor der Tür reden wir noch weiter. Wir verabschieden uns mit den Worten, unser nächstes Treffen solle nicht erst wieder nach einem Jahr stattfinden.

Credits
Bilder von Pixabay:

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